Homme less – diesen Film muss man gesehen haben

Heute erzähle ich euch eine Geschichte, eine Geschichte über das Leben und über die Dinge, die fast nie so sind, wie sie zu sein scheinen. Eine Geschichte über die andere Seite der Medaille. Denn wir alle – manche mehr, manche weniger – neigen dazu, die Dinge besser zu verpacken, auszuschmücken und zu verschönern: um die anderen zu beeindrucken, um dazu zu gehören, oder um wenigstens als normal eingestuft zu werden; um in der Gesellschaft einen besseren Platz zu kriegen. Manche tun es aber, um zu überleben und um ihre Würde und Lebensmut zu erhalten. Ich erzähle euch eine Geschichte über einen außergewöhnlichen Mann und seine Beziehung zu einer der mächtigsten Städte der Welt: The Big Apple. Ich erzähle euch a Story about a man, der sich an der Rand der Gesellschaft bewegte, und niemand ahnte etwas, denn die Dinge sehen nicht immer so aus wie sie wirklich sind. Es geht um den Film Homme Less, den ich mir auf der VFW angeschaut habe und der mich tief berührte.

Es war der vorletzte Tag der VFW. Nach der Fashion Show von Anelia Peshev habe ich mich von meinen Freundinnen verabschiedet, und eigentlich war ich extrem müde und wollte nach Hause zu meiner Familie gehen. Ich weiß nicht, was mich dann noch wieder ins Zelt führte. Dann dachte ich mir, ich schließe wenigstens das kostenlose Abo für Flair ab, das für Besucher der FW angeboten wurde. In diesem Moment kam eine hübsche nette Dame auf mich zu und stellte sich als die Schauspielerin Saman Giraud vor. Da mein Presseausweis noch an meiner Clutch hing, bat sie mich, ein Foto von ihr und einem grauhaarigen, gutaussehenden Mann mittleren Alters zu machen. Sie erklärte mir, er sei der Protagonist in dem Film, der in den nächsten Minuten im Zelt präsentiert wird. Ich habe die Fotos natürlich gemacht und es ging nicht anders, die junge Dame hatte meine Interesse an dem Film geweckt und ich musste ihn mir anschauen. Ich ging ins Zelt, ohne jegliche Idee zu haben, was für ein Film mich da erwartete.

Homme Less

Es beginnt auf dem roof top eines Gebäudes in New York. Der Hauptdarsteller Mark Reay genießt die wunderbare Aussicht, den Sonnenaufgang über der Skyline von Manhattan, bevor sein geschäftigter Alltag als Fotograf in NY seinen Lauf nimmt. Er macht Straßenfotos von Models und fotografiert auch backstage auf fast jedem Fashion-Event im Big Apple. Er erscheint in Zeitungen neben berühmten Menschen, trägt Designeranzüge, schneeweiße Hemden und teure Schuhe. Mark ist ein attraktiver, charmanter Mann, der souverän und witzig auf eine ungezwungene Art und Weise mit seinem positiven Karma die anderen ansteckt. Er scheint sein Leben fest im Griff zu haben; ein erfolgreiches Mitglied unserer Konsumgesellschaft. Und während Mark die Glanz-und-Glamour-Seite der Finanzmetropole mit seiner Kamera festhält, erzählt er den Zuschauern von seiner Philosophie des Lebens. Sie sei von dem Vorsatz des Mythologen Joseph Campbell, stets seinen Träumen zu folgen, geprägt. Mit den Jahren hat Mark aber etwas dazu gelernt und für sich ergänzt: „Wer den amerikanischen Traum verwirklichen will, muss auch bereit sein, den Albtraum zu erleben.“ Denn wenn Mark tagsüber ein normales Leben führt, verbringt er die Nacht dort, wo der amerikanische Traum zum Albtraum wird: auf dem roof top in der Kluft zwischen zwei Gebäuden, wo er sich unter einer wind- und wasserdichten Decke eine Schlafstelle eingerichtet hat; in der Kluft zwischen Sein und Schein, wo er seine Trink- und Urinflasche (in der Nacht) aufbewahrt, wo er das Geheimnis seiner zwielichtigen Existenz vor dem Rest der Welt gut behütet.

Und das mit Recht, denn wir alle erkennen obdachlose Menschen an der Art wie sie aussehen, an ihrer schmutzigen und schäbigen Kleidung, an der Art wie sie sich bewegen, ohne Ziel und Eile, weil sie aufgehört haben, ein Teil unserer produktiven Gesellschaft zu sein. Und wir treten automatisch zur Seite und distanzieren uns von ihnen, weil uns das nie passieren könnte. Im besten Fall haben wir Mitleid mit diesen Menschen, die nichts mit ihren Leben anfangen wollen und einfach aufgegeben haben.

Mark passt aber nicht in diese Schublade, denn er trägt 200$-Designerschuhe, einen tollen Anzug, er ist gut gelaunt, hat eine Fitnessstudio-Mitgliedschaft und eine Krankenversicherung  –  und er ist seit 6 Jahren Obdachlos. Er arbeitet als Fotograf, als Statist für Filmproduktionen, und im Winter zieht er sogar ein Weihnachtsmann-Kostüm an. Der Zweiundfünfzigjährige nimmt alles locker auf und gibt offen zu, er habe viel erlebt, aber nicht viel erreicht. Und eines will er nicht: dass man Mitleid mit ihm hat.

Ich schaute mir den Film an, freute mich, dass ich nicht nach Hause gegangen bin, weil der Film wirklich toll und bewegend war. Toller Plot, und obendrein spielte der Hauptdarsteller verdammt gut. Ich war mir sicher, einiges in der Filmszene verpasst zu haben. Meine Begeisterung und Schockierung wurden noch größer, als ich auf einmal erkannte, dass es sich um einen Dokumentarfilm handelte.

Nach dem Film erzählten Thomas Wirthensohn (Regisseur und Kameramann) und Mark Reay, dass sie sich in den 90ern in Wien kennengelernt haben, als beide als Models in der Modebranche arbeiteten. Als sich dann ihre Wege 2010 in NY wieder kreuzten, war Thomas über die Lebenssituation seines immer noch gutaussehenden und gut gekleideten Freundes schockiert. Er wusste sofort, dass er einen Film darüber machen wollte, und mit Marks Zustimmung begleitete er ihn fast drei Jahre lang.

Daraus entstand ein Film, der Marks Probleme zeigt, und wie er es schaffte, die Fassade seines scheinbaren Erfolgs aufrechtzuerhalten. Ein Film über eine äußerst starke Persönlichkeit, die in dieser für die meisten Menschen unvorstellbaren Situation nicht verzweifelt und unterzugeht; die weiterhin die Kraft findet und weitermacht. Gezeigt wird das tägliche Leben von Mark und wie er sich im Fitnessstudio körperlich fit und sauber hält. Wie er jeden Morgen auf dem roof top aufsteht, sich in der öffentlichen Toilette rasiert und in einem Designeranzug herausstolziert. Den ganzen Tag als Fotograf oder Statist arbeiten geht. Am Abend seine Fotos in Lokalen bearbeitet und sich dann wieder am Dach zum Schlafen zurückzieht. Sein Hab und Gut bewahrt er in ein paar Sicherheitskästen auf ; Wäsche Waschen und Bügeln erledigt er auch im Fitnesstudio. Er geht auf Parties und trifft schöne Frauen. Ja, so surreal kann die Wirklichkeit sein. Genau wie sein Titel ist der Film sehr vielseitig. Der Dokumentarfilm erzählt nicht nur von Marks Leben und der Beziehung zu der Stadt in der er lebt, sondern auch von den Problemen der heutigen Konsumgesellschaft und des Systems. Er bewegt und fordert unsere Wertvorstellungen neu zu überdenken. Er zeigt uns, dass Geld und Erfolg keine Konstanten sind und dass Obdachlosigkeit ein Teil unseres „normalen“ Lebens geworden ist.

Ein gewaltiger Film über eine gewaltige Stadt und über einen umso mehr gewaltigeren Mann! – am dessen Ende ich kein Mitleid mit Mark hatte sondern nur Begeisterung und Hochachtung für seinen starken Charakter.

 

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Die Schauspielerin Saman Giraud und Mark Reay
 

Ich bin stolze Besitzerin von einem Skript mit Marks Street-Fotos, persönlich von ihm signiert. Weitere Fotos von Mark findet ihr hier: www.markreay.net

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The roof top
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2 Comments

  1. Captivating and inspiring movie! Love the last quote.“..Santa loves you too!“
    Fascinating and thought provoking images. Thank you for sharing, Borislava!
    JOURNAL OF STYLE / BLOGLOVIN

    JOURNAL OF STYLE
  2. Thanks you for giving the film and me this coverage. I really appreciate it.
    Peace,
    Mark

    Mark Reay

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